13. Nov. 2025

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Rachel Ruysch – Blumenbilder für alle Sinne

Carola Dahmen

Es gibt sie, die ganz seltenen Momente, in denen Sie wie verzaubert vor einem Gemälde stehen und förmlich meinen, den Duft der dargestellten Blütenvielfalt zu riechen. Der Geschmack der Früchte breitet sich auf ihrer Zunge aus. Im Hintergrund hören Sie das leichte Flattern von Schmetterlingsflügeln und Summen der Bienen, während sie gedanklich noch dem seidigen Glanz der Blütenblätter auf ihrer Fingerkuppe nachspüren. Sie meinen, das geht nicht? Doch, im Fall von Rachel Ruyschs (1664 – 1750) Gemälden kann Ihnen dies passieren! Aber wer war diese bemerkenswerte Frau, die schon zu Lebzeiten als „Hollands Naturwunder“ bezeichnet und deren Blumenstillleben zu den bedeutendsten ihrer Zeit gezählt wurden?

Glückliche Zufälle

Geboren am 3. Juni 1664 in Den Haag, wuchs Rachel Ruysch in einem privilegierten Haus in Amsterdam auf. Ihr Vater Frederik Ruysch war ein renommierter Professor für Anatomie und Botanik sowie Besitzer einer frei zugänglichen Sammlung menschlicher, tierischer und botanischer Präparate, die 1717 von Zar Peter dem Großen für die beachtliche Summe von 30 000 Gulden aufgekauft wurde und die man ganz allgemein als „achtes Weltwunder“ bezeichnete. Hinzu kam, dass er 1685 zum 1. Direktor des Hortus Medicus Amstelodamensis ernannt wurde, der dank bester Verbindungen zur Niederländischen Ostindien-Companie einen Großteil seiner Pflanzen aus Übersee bezog. Ihre Mutter Maria Post stammte wiederum aus einer angesehenen Familie von Architekten und Malern, sodass Rahel Ruysch von beiden Seiten her profitierte und sich Kenntnisse aneignen konnte, die anderen Frauen zu dieser Zeit verwehrt blieben. Von klein auf von ihren Eltern gefördert, erwies sich selbst die für Frauen geltende Beschränkung auf das professionelle Zeichnen von Pflanzen und Tieren als wahrer Glücksfall für sie. Denn dass gerade die Blumenmalerei im 17. Jahrhundert eine derartige Hochblüte erfahren sollte, konnte zum Zeitpunkt ihrer Lehre, die sie mit 15 Jahren bei Amsterdams renommiertestem Stilllebenmaler Willem van Aelst (1627 – 1683) antrat, niemand ahnen.

(Wikipedia Commons)

Symbiose von Natur und Kunst

Orientierte Ruysch sich noch anfangs in der Auswahl ihrer Motive und der Komposition ihrer Werke stark an denen ihres Lehrers, so ging sie alsbald ihre eigenen Wege und schuf etwas Einzigartiges. Dank der Stellung ihres Vaters hatte sie jederzeit Zutritt zum Botanischen Garten Amsterdams, sah und lernte tierische und pflanzliche Exoten kennen, von denen andere nicht ahnten, dass sie überhaupt existierten. Sie befand sich damit am Puls der Zeit und führte der Welt allein in ihrer Motivauswahl vor Augen, was es alles gab. Darüber hinaus ermöglichte ihr die neuartige Präparationsmethode ihres Vaters, Blumen und Pflanzen ein ganzes Jahr lang lebendig wirken zu lassen, jahreszeitlich unabhängig agieren zu können: Sie konnte Frühlingsblüher mit Sommer- und Herbstblühern in einem einzigen Gemälde vereinen und so ein wahres Feuerwerk an ganzjähriger barocker Blütenpracht entstehen lassen. Da gesellte sich die Tulpe zur Sonnenblume, die Hortensie zum Mohn und der Flieder zum Goldgeißblatt und zur Rose. Alles in einem einzigen Gemälde! Ergänzt um heimische und exotische Insekten wie dem Obrina-Olivenflügel-Schmetterling aus Kolumbien führten sie diese Bilder auf der Erfolgsleiter nach ganz oben. So wurde sie 1701 zusammen mit ihrem Mann, dem Porträtmaler Jurian Pool, als erste Frau in die Künstlerbruderschaft Pictura in Den Haag aufgenommen. Und Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz ernannte sie 1708 zur Hofmalerin, nicht ohne zu vergessen, zwei ihrer Bilder seinem Schwiegervater Cosimo III de Medici, dem Großherzog der Toskana, zu schenken.

Die dunkle Jahreszeit steht uns bevor und vielleicht gönnen Sie sich das Vergnügen, die ganze Blütenpracht eines Jahres noch einmal aufleben zu lassen, indem Sie in Rachel Ruyschs Bilder eintauchen. Sie werden diese Explosion der Sinne nicht bereuen!

 

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zuletzt bearbeitet am 1.XII.2025