20. Nov. 2025
NATURBEOBACHTER AUS DER REGION
Verborgene Welten mit einer erstaunlichen Fülle des Lebens
Karl Josef Strank
Wir Menschen sind mit unseren Sinnen im Mittelmaß ausgestattet. Viele andere Organismen übertreffen uns in ihren Fähigkeiten, Farbe, Ton, Duft, Geschmack, Berührung, Hitze und Kälte wahrzunehmen bzw. zu ertragen. Unser Sinnesspektrum können und konnten wir nur unter Zuhilfenahme technischer Geräte erweitern. Das Mikroskop und das Teleskop erweiterten unser Sehfeld in den Mikro- und den Makrokosmos. Dennoch blieben uns viele Einsichten verborgen, weil sie unserer Aufmerksamkeit teilweise auch aus mangelndem Interesse entgingen. Es stellte sich für Einige das Gefühl ein, es gäbe auf unserer Erde nichts mehr zu entdecken. Das Gefühl aber täuscht, denn bei genauerer Fokussierung eröffneten sich viele, neue unbekannte Welten.
Die beiden großen Lebensbereiche auf der Erde sind das Wasser und das feste Land. In beiden Bereichen sind wir lange an der Oberfläche geblieben und haben uns mit dem Offensichtlichen beschäftigt. Ein Vorstoßen in die Tiefe war immer mit Ängsten verbunden. Die Höhlen waren Orte der Unterwelt, bewohnt von Drachen, schrecklichen Bestien und das Reich der Toten. Die unendlichen Tiefen der Ozeane kamen in der Vorstellungswelt nicht besser weg, waren sie doch beherrscht von unheimlichen, Furcht einflößenden und den Tod bringenden Seeungeheuern.
Die Erforschung der Höhlen in größeren Tiefen und absoluter Dunkelheit hat eine reiche Tierwelt zu Tage gefördert. Neben Würmern, Muscheln, Schnecken gibt es eine Fülle von Krebsen, Asseln, Spinnen, Springschwänzen, Felsenspringern, Wanzen, Käfern, Fliegen und auch Schmetterlingen, die sich alle an das Höhlenleben angepasst haben. Der Sardische Salamander lebt vorzugsweise in kühleren Höhlen, hat keine Lunge und atmet vollständig über die Haut. Der Axolotl aus Mexiko wird geschlechtsreif, behält lebenslang seine Kiemen und bleibt in einem Stadium stehen, das andere Amphibien in der Jugend als Phase in ihrer Entwicklung durchlaufen. Der von Fledermäusen hinterlassene Kot und anderes eingespültes organisches Material in Höhlen bilden die Grundlage für mikroskopisch kleine Organismen. Höhlenassel und Höhlenflohkrebs, deren oberirdische Vertreter wir kennen, verbringen ihr ganzes Leben in der Dunkelheit mit ausgeprägten Tast- und Geruchssinnen.
Eine erstaunliche Vielfalt des Lebens hat sich an den tiefsten Stellen unserer Ozeane aufgetan, als es gelang mit speziellen Tauchrobotern oder -booten dorthin zu gelangen. Eine anfangs vermeintliche, dunkle, großem Druck ausgesetzte Wasserwüste bietet Muscheln, Krebsen, Garnelen und Fischen, die monsterhaft erscheinen, teilweise ihr eigenes Licht erzeugen den Lebensraum. Jeder Tauchgang bringt neue Arten mit oft erstaunlichen Fähigkeiten gleichsam an die Oberfläche. In den tiefen, die Erde umspannenden Grabensystemen der Ozeane entsteht aus vulkanischer Tätigkeit neue Erdkruste, die letztendlich die Drift der Kontinente aufrechterhält. An bis zu 400 °C heißen Thermalquellen leben Mikroorganismen, die anstelle von Photosynthese wegen Lichtmangel ihre Energie durch Chemosynthese erzeugen und Grundlage für eine Nahrungskette sind.
Eine erstaunliche Lebensfülle hat sich auch im Grenzbereich zwischen Wasser und Land aufgetan. Jede Handvoll Wattboden oder feuchter Sand eines Flussufers beherbergt eine faszinierende Gemeinschaft aus Hunderttausenden bis Millionen kleinster Lebewesen. Mit Strandkrabben und Wattwürmern scheinen die Strände eher dünn besiedelt, was aber täuscht, denn in den Räumen zwischen den Sandkörnern, die mit Luft, Wasser und organischem Material gefüllt sind, leben nur wenige Mikrometer bis zu einem Millimeter große Tierchen, die als „Meiofauna“ bezeichnet werden. Im sogenannten Sandlückensystem herrschen extreme Bedingungen. Wind, Wellen, Strömung, Schwankungen von Temperatur, Wasser- und Salzgehalt sind Herausforderungen. Haft- und Klammerorgane, Stacheln, dicke Körperwände und elastische Polster bieten dagegen Schutz. Neben Räder- und Bärtierchen sind mit den Korsetttierchen und Bauchhärlingen bis dahin ganz unbekannte Tiergruppen entdeckt worden.
zuletzt bearbeitet am 1.XII.2025