13. Nov. 2025

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Warum Primzahlen für Insekten wichtig sind

Gerhard Hiß

Viele Insekten brauchen für ihre Entwicklung mehrere Jahre. So haben zum Beispiel Maikäfer drei- vier- oder fünfjährige Lebenszyklen, die regional synchronisiert sind, d.h. dass in einem Gebiet große Mengen nur in mehrjährigen Abständen auftreten. Eine besonders lange Entwicklungszeit haben die Zikaden der Arten Magicicada septendecim, M. cassini und M. septendecula. Diese kommen im Nordosten der USA in riesigen Populationen vor. Nach dem Schlüpfen aus dem Boden leben diese Insekten nur wenige Wochen um sich zu paaren und Eier zu legen. Die geschlüpften Larven graben sich in den Boden ein, ernähren sich von Wurzelsaft und häuten sich mehrfach, bevor sie nach genau 17 Jahren als erwachsene, geschlechtsreife Insekten wieder an die Oberfläche der Erde kommen.

Pro Quadratmeter schlüpfen ca. 300 Insekten, und ihr Lebensraum erstreckt sich über viele Quadratkilometer. Sie treten dabei in solchen Mengen auf, dass Kommunen Container bereitstellen, in denen tote Zikaden aus Gärten als Futter für Zootiere gesammelt werden. Während ihres kurzen Lebens an der Oberfläche der Erde erzeugen die männlichen Exemplare einen gewaltigen Lärm zur Partnersuche. Das Erscheinen dieser Zikaden ist ein spektakuläres Ereignis für Schaulustige und Medien.

Europäische Siedler beobachteten ein solches massenhaftes Auftreten dieser Arten zum ersten Mal im Jahre 1634. Dies ist jetzt, im Jahr 2025, genau 391 = 23 x 17 Jahre her; unter den diesjährigen Zikaden sind also direkte Nachfahren jener von 1634. Südlich des Verbreitungsgebietes der 17-periodischen Zikaden existieren Zikaden mit einem 13-jährigen Lebenszyklus.

Maikäfer haben drei-, vier- oder fünfjährige Lebenszyklen.

Das riesige Aufkommen dieser Insekten wird dadurch erklärt, dass mögliche Fressfeinde schnell übersättigt sind, so dass sie keine Chance haben, die Insekten ganz auszurotten. Aber welchen Grund könnte es dafür geben, dass Lebenszyklen, in diesen Fällen 17 und 13, Primzahlen sind, also nur durch 1 und sich selbst teilbar? Schon lange wird vermutet, dass dies mit den Lebenszyklen möglicher Fressfeinde erklärt werden könnte. Wäre der Lebenszyklus der Zikaden etwa 12 Jahre, so könnten sie von allen Räubern gefressen werden, die jährlich, oder alle 2, 3, 4, 6 oder 12 Jahre vorkommen. Eine Mutation zu einem 13-jährigen Zyklus würde die Überlebenschance der Art erheblich verbessern.

Forscher vom Max-Planck-Institut Dortmund und der Universidad de Chile in Santiago haben ein mathematisches Räuber-Beute-Modell entwickelt, welches die oben genannte These unterstützt. In diesem Modell folgen Räuber und Beute jeweils einem Lebenszyklus, dessen Länge sich, wie in der Natur bei einer Mutation, spontan ändern kann. Simulationen mit diesem Modell ergeben, dass der Lebenszyklus der Beute nach einer endlichen Anzahl von Mutationen eine Primzahl wird. Dieser Zyklus bleibt in folgendem Sinne stabil: Mutationen der Beute, die den Zyklus ändern, haben keine besseren Überlebenschancen als die nicht mutierte Art.

So überzeugend diese Argumentation ist, so hat sie doch einen Haken. Bis heute ist kein Räuber für die besagten Zikaden, der die entsprechenden Lebenszyklen aufweist, gefunden. Es wird spekuliert, dass es eine ausgestorbene Wespenart sein könnte, oder aber auch ein Pilz, der die Insekten befällt. Andererseits ist es nicht verwunderlich, dass ein potentieller Räuber ausgestorben ist: schließlich war genau dies der Zweck der Evolution, die diese Primzahl-Periode hervorgebracht hat.

Vom mathematischen Standpunkt aus spricht nichts dagegen, die Simulation mit dem Räuber-Beute Modell mit sehr großen, in der Natur unrealistischen, Zykluslängen durchzuführen. Als Ergebnis erhielten die Forscher dabei sehr große Primzahlen. Dies ist deswegen von Bedeutung, weil große Primzahlen in der modernen Verschlüsselungstechnologie eine eminente Rolle spielen.

Die Ergebnisse dieser Forschungsgruppe bilden ein eindrucksvolles Beispiel für ein erfolgreiches Zusammenwirken zweier so unterschiedlicher Disziplinen wie der Biologie und der Mathematik.

 

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zuletzt bearbeitet am 1.XII.2025