19. Mai 2022

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Wildkräuter der Kalkäcker - Pflanzengesellschaft des Jahres

 Joachim Schmitz

Nach Glatthaferwiese und Borstgrasrasen ist auch dieses Jahr wieder eine Vegetation ausgewählt worden, die ein Relikt traditioneller Landwirtschaft und deshalb vom Aussterben bedroht ist, die Wildkrautflur von Äckern auf Kalksteinboden. Bei uns gibt es drei Gesellschaften, die sich nur durch wenige Arten unterscheiden und im Verband Caucalidion zusammengefasst werden.

Zentrale Assoziation ist die Haftdolden-Adonisröschen-Gesellschaft (Caucalido-Conringietum, in der Literatur auch als Caucalido-Adonitetum oder Caucalido-Scandicetum bezeichnet). Neben unscheinbaren Arten wie mehreren Doldenblütlern wachsen hier ausgesprochen bunte Blumen, u.a. Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis), Acker-Rittersporn (Consolida regalis) oder Großer Venusspiegel (Legousia speculum-veneris). Dazu kommen weitere weniger spezifische Arten: Kornblume (Centaurea cyanus) und besonders Klatsch-Mohn (Papaver rhoeas) können spektakuläre Blühaspekte bilden. Die Pflanzen blühen Mai bis Juni, weshalb sie sich besonders gut im Wintergetreide entwickeln.

Damit konnte sich die Gesellschaft optimal in der traditionellen Dreifelderwirtschaft entfalten. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft (Kunstdünger, chemische „Unkraut“-Gifte, dichtere Saat, Stoppelumbruch gleich nach der Ernte) sind die Bestände massiv zurückgegangen. Das Foto des Adonisröschens habe ich 1978 bei Thuir südlich Düren gemacht. Seither habe ich die Art dort nicht mehr wiedergefunden.


Das Sommer-Adonisröschen ist vielerorts schon verschwunden.

Der Aachener Schneeberg war einmal berühmt für seine reiche Kalkackerflora. Ab den 1970er-Jahren sind im damals so genannten „TH-Erweiterungsgebiet“ Melaten große Ackerflächen überbaut worden, nicht zuletzt auch durch das neue Klinikum. Zu meiner Studienzeit um 1980 tauchten vorübergehend immer wieder Arten auf, wenn im Zuge von Wege- und Straßenbau Bodenanrisse entstanden und eine Weile brachgelegen haben. Ackerwildkräuter sind bekannt dafür, jahrzehntelang als „Samenbank“ im Boden ruhen zu können und bei passender Gelegenheit zu keimen. Dann kam der Golfplatz am Schneeberg dazu, durch dessen Anlage weitere große Ackerflächen vernichtet wurden. Danach blieb nur noch ein winziger Acker mit Venuskamm (Scandix pecten-veneris) übrig. Wenigstens der konnte sich bis heute halten. Seit 2015 werden als ökologische Ausgleichsflächen für den Campus Melaten Felder wieder extensiv bewirtschaftet. So konnte sich der Venuskamm jüngst deutlich ausbreiten. Organisiert hat das übrigens die Stiftung Rheinische Kulturlandschaft.

Neben dem Aachener Schneeberg und dem Dürener Muschelkalk gab es auch in der Sötenicher Kalkmulde (von Nettersheim im Südwesten bis nördlich Bad Münstereifel im Nordosten) reiche Bestände. Prof. Dr. Wolfgang Schumacher von der Uni Bonn hat dies 1977 veröffentlicht und auch gleich eine Initiative gestartet, diese Flora zu erhalten. Das war das Ackerrandstreifenprogramm. Das sieht vor, auf ausgesuchten Äckern wenigstens am Rand auf 10m Breite extensiv zu wirtschaften, wofür die Bauern einen finanziellen Ausgleich bekommen. Dieses Projekt ist zur Keimzelle von dem geworden, was heute Vertragslandwirtschaft heißt. Auch in vielen anderen Biotopen werden Bauern dafür bezahlt, Landschaftselemente naturverträglich zu bewirtschaften.

Die Ackerrandstreifen darf man nicht mit den heute in Mode gekommenen Blühstreifen verwechseln. Dabei handelt es sich durchweg um angesäte, oft neophytische Arten. Die sind natürlich für Vögel, Insekten usw. besser als gar nichts. Zum Erhalt bedrohter heimischer Pflanzen tragen sie kaum etwas bei.

Aus naturschutzkundlicher Sicht werden Ackerrandstreifen heute kritisch gesehen. Es sind eben doch relativ kleine Flächen, die Störungen nur schlecht abpuffern können. Besser wären komplette Schutzäcker, die traditionell bewirtschaftet werden. Das muss dann natürlich von der Öffentlichen Hand finanziert werden. Ideal wäre ein großflächiger extensiver Ackerbau und Ökologischer Landbau, aber, dass ich das noch erlebe, glaube ich selbst nicht.

 

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zuletzt bearbeitet am 8.VI.2022