23. Sept. 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Der Hirsch – Edelwild unserer Wälder

 Karl Josef Strank

Hirsche gelten in unseren Wäldern als das edelste Wild, was nach gängiger Volksmeinung, aber auch in den Augen von Jägern und Förstern, diese durchstreift. Früher zierte oft das Bild eines röhrenden Hirsches die Wohnstuben und bis heute hängen in Jagdzimmern die Geweihe kapitaler Hirsche als begehrte Trophäe einer erfolgreichen Jagd. Jetzt gegen Ende September ist auch der tief dröhnende, orgelnde Brunftschrei der Platzhirsche wieder kilometerweit zu hören, mit dem sie die Weibchen ihres Rudels von ihrer Kraft und Stärke überzeugen und potenzielle Rivalen abschrecken oder zumindest beeindrucken wollen. Jäger wetteifern darum, diesen Schrei auf Gießkannen und anderen Resonanzverstärkern bestmöglich nachzuahmen. Einen wirklichen Nutzen als Lockruf hat das nicht, außer, dass es spaßig ist. Zur Brunft sind alle älteren und auch junge Hirsche, hormonell getrieben, zur Stelle und messen ihre Kräfte. Das kann sich bis in den November ziehen und manch alter Kämpe ist danach so erschöpft, dass er den Winter nicht überlebt. Männliche Hirsche separieren sich nach der Brunft vom Rudel und versuchen wieder zu Kräften zu kommen.

Die jungen Hirsche schließen sich zu Trupps zusammen und die Weibchen, angeführt von einer erfahrenen älteren Hirschkuh, bilden kleinere oder größere Rudel. Die beschlagenen (begatteten) Hirschkühe setzen dann im Mai/Juni die Kälber. Nachdem sie die Jungen des letzten Jahres vertrieben haben, separieren sie sich zur Geburt vom Rudel. Wie Rehe legen sie die Kälber ab und besuchen sie in den ersten Tagen nur zum Säugen.

Die männlichen Hirsche verlieren im Februar/März das Geweih, Jäger sprechen vom „Abwurf der Stangen“. Sofort verschließt eine stark durchblutete, pelzig-samtige Haut (Bast) die Abwurfstelle, die sogenannten Rosenstöcke, aus denen mit einem Zentimeter pro Tag das neue Geweih wächst. Das ist dann Ende Juli/Anfang August in der Regel größer als das alte voll entwickelt. Der Bast vertrocknet und wird von den Hirschen an Ästen und Gebüsch abgerieben, so dass er tagelang in Fetzen herunterhängt. Jäger nennen den Vorgang „Fegen“; Pflanzensäfte verleihen dem Geweih die braune Färbung. Das Geweih besteht aus Knochensubstanz und verbraucht viel Calcium. Der jährliche neue Aufbau mehrerer Kilo Knochensubstanz ist eine immense körperliche Leistung der männlichen Hirsche. In der östlichen Medizin spielen Knochen und Horn eine besondere Rolle und so „erntet“ man in der Mongolei die Bastgeweihe von Altai-Hirschen (Maral genannt), um diese „Panten“ nach China zu exportieren, wo sie als Volksheilmittel gelten.

Bei uns wird vor allem das Wildpret der Hirsche genutzt. Herbst und Winter sind Jagdzeit. Dann gibt es in den Gasthöfen, die in Süddeutschland häufig sehr treffend „Zum Hirschen“ heißen, eine große Auswahl an Gerichten vom Hirsch und anderem Wild. Aus den Geweihstangen fertigt man edle Hirschhornknöpfe, die Eckzähne in Gold gefasst liefern den Grandelschmuck und aus der Haut wird Wildleder hergestellt. Besondere Verwendung findet all dies in der Trachtenmode.

Seit alters dient der Hirsch aber auch als Herrschaftssymbol. Im Mittelalter war die Jagd das Privileg des Adels. Hirsche mit starkem Geweih waren und sind auch heute noch der Stolz eines jeden Jägers. Nach dem Vorbild der Samen im hohen Norden, die Rentiere als Zugtiere vor Schlitten spannen, hielten sehr hohe oder exzentrische Herrschaften zahme Hirsche für diesen Zweck. Der römische Kaiser Aurelian lies sich nach dem Sieg über Zenobia, die Königin von Palmyra, im Triumphzug von einem Vierergespann zahmer Hirsche durch Rom ziehen. Fürst Pückler fuhr, von sechs Hirschen gezogen, in Berlin Unter den Linden entlang. Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt hielt ebenfalls ein Sechsergespann von Hirschen, mit denen er gelegentlich vom Jagdschloss Kranichstein nach Darmstadt hineinfuhr.

Als edelstes Wild unserer Wälder werden die Hirsche gehegt, gepflegt und durch den Winter gefüttert. Dennoch verursachen sie erhebliche Verbissschäden vor allem an jungen Laubbäumen. Das sorgt für Streit unter Fachleuten und führt zur Frage: Wieviel Hirsche verträgt unser Wald? Das ist gelegentlich in einer eigenen Kolumne zu diskutieren.

 

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zuletzt bearbeitet am 4.X.2021