31.Mai 2012

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Scheinsaftblumen – Betrug in der Natur

Joachim Schmitz

Dass Pflanzen von Insekten bestäubt werden, weiß heute jedes Kind. Entdeckt hat dies Christian Konrad Sprengel, der seine Beobachtungen 1793 im Buch „Das entdeckte Geheimnis der Natur“ veröffentlicht hat. Er entdeckte nicht nur die Übertragung von Blütenstaub durch Insekten, was zu seiner Zeit völlig im Widerspruch zur gültigen Lehrmeinung war. Man nahm an, dass Blüten sich selbst bestäuben, liegen doch in fast jeder Blüte männliche Staubgefäße und weibliche Fruchtknoten direkt nebeneinander. Sprengel fand auch heraus, wie Blüten und Bestäuber gegenseitig aneinander angepasst sind. So haben von Schmetterlingen bestäubte Blüten den Nektar tief in langen Röhren oder Spornen versteckt, an den nur Schmetterlinge mit ihren langen Saugrüsseln gelangen können. Eine besondere Zeichnung haben die Blüten nicht, weil Falter sich mehr von ihrem Geruchssinn als von ihren Augen leiten lassen. Ganz anders eine Blüte für Bienen und Hummeln: Die Blüten sind mehrfarbig, haben eine nach unten ausgerichtete Lippe, auf der das Insekt sitzen kann. Auffällige Zeichnungen auf der Lippe weisen ins Blütenzentrum, wo der Nektar in einer kurzen Röhre oder Sporn vor dem Regen geschützt verborgen ist. Schon Sprengel hat für eine solche auffällige Zeichnung in der Blüte den Namen Saftmal geprägt.

Tausendmal hat er solche Blüten gesehen. Doch beim Studium des Breitblättrigen Knabenkrauts macht er eine merkwürdige Beobachtung: „Das Horn sollte eigentlich die Saftdrüse und der Safthalter zugleich seyn; ich habe aber niemals, ob ich gleich sehr viele Blumen durchsucht habe, Saft in demselben angetroffen: Diesen sollte man nun allerdings erwarten, vorzüglich, da auch im Uebrigen die Blume so gebauet ist, wie es eine Saftblume seyn muß. (…) Warum hat nun die Natur diese Blume, der sie völlig das Ansehen und die Einrichtung einer Saftblume gegeben hat, dennoch nicht mit Saft versehen? Warum ist diese Blume eine Scheinsaftblume?“

Es hat etwas gedauert, aber irgendwann ist Sprengel auf die Lösung gekommen. Die Blüten zeigen alle Merkmale einer Bienenblume, aber trotz aller Saftmale hat die Blüte keinen Saft, also keinen Nektar. Sie täuscht Nektar nur vor. Die Pflanze kann sich so die aufwändige Produktion von Nektar sparen und wird doch bestäubt. Die Sache hat allerdings einen Haken. Schon Sprengel ist aufgefallen, dass solche Blumen oft einen schlechten Fruchtansatz zeigen. Das liegt daran, dass Bienen relativ gut lernfähig sind. Wenn sie eine Blüte anfliegen, die in all ihren Merkmalen hochwertigen Nektar verheißt, und dann ist da nichts, probieren sie das vielleicht noch ein- oder zweimal aus, und dann lassen sie diese Blüten links liegen. Deshalb sind Blumen, die ihren Bestäuber vollständig täuschen, eher selten. Häufiger findet man kleine ‚Schummeleien‘. So sind bei Lein-Blüten, wo zwischen den 5 Kronblättern nach den Saftmalen eigentlich 5 Nektarien sitzen sollten, immer nur 2 wirklich aktiv und das bei jeder Blüte an einer anderen Stelle. Manche Steinbrech-Arten täuschen mit gelben Flecken auf den Kronblättern zusätzliche Staubbeutel vor. Hier finden die bestäubenden Insekten nach ein paar Fehlversuchen doch immer wieder den gesuchten Nektar bzw. Pollen, so dass sie nicht so schnell aufgeben.


Das Breitblättrige Knabenkraut (Dactylorhiza majalis) ist mit der Intensivierung der Landwirtschaft, der Trockenlegung von Nasswiesen und der zunehmenden Versiegelung vermeintlich nutzloser Brachflächen ziemlich selten geworden. Übrigens haben alle Knabenkräuter Scheinsaftblumen. Man kann sich das Phänomen z.B. auch beim Gefleckten Knabenkraut (Dactylorhiza maculata, nebenstehendes Foto) anschauen, das in Magerwiesen und Heiden in und um das Venn noch verbreitet vorkommt. Ein sicherer Tipp ist z.B. die Sistig-Krekeler Heide nahe Schleiden.

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zuletzt bearbeitet am 31.V.2012