10.Mai 2012

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Beifuß, Eberraute und der Wermut: die Pflanzen der Göttin Artemis

Karl Josef Strank

Unscheinbar und unverwüstlich wächst bei uns an Wegrändern und auf Brachgeländen der Gewöhnliche Beifuß, Artemisia vulgaris. Weil er häufig auf Schuttflächen, an Mauern, entlang von Hecken und Zäunen, an Ufern und fast auf der ganzen nördlichen Erdhalbkugel anzutreffen ist, hat er den Beinamen gewöhnlich oder gemein im Sinne von allgemein verbreitet bekommen.

Aus tiefen Wurzeln entspringen ein bis eineinhalb Meter hohe, braune bis rötlich überlaufene Stängel. Die ein- bis dreifach fiederteiligen Blätter sind lanzettlich oder stachelspitzig, auf der Oberseite kahl und dunkelgrün, auf der Unterseite dicht filzig behaart, als Verdunstungsschutz eine Anpassung an sonnige und trockene Standorte. Die kleinen, eiförmigen und grauen Blütenköpfchen stehen in dichten Trauben oder Ähren im oberen Teil der Stängel. Die eigentlichen Blüten ragen nur kurz aus den filzig behaarten, dicht gepackten Hüllblättern heraus. Die randlichen Blüten eines Köpfchens sind weiblich, die übrigen zwittrig. Der Beifuß blüht von Juni bis September, ist ausdauernd und gehört systematisch zu den Asterngewächsen.

Der Name Artemisia wurde schon von Dioskurides und Plinius als Sammelbegriff genutzt für eine Reihe von Arten der Gattung Artemisia, die aufgrund ihrer Inhaltsstoffe weniger als Gewürze denn als Heilpflanzen insbesondere für Frauenleiden Verwendung fanden und der Artemis zugeschrieben wurden.

Heilende Wirkung

Wir kennen Artemis als Göttin der Jagd; die ältere Verehrung gilt ihr aber als Frauen- und Heilgöttin. Neben dem eigentlichen Beifuß gehörten in diese Gruppe die Eberraute, A. abrotanum, der Wermut, A. absinthium, und der Meer-Absinth, A. maritima. Einige Botaniker stellen auch Artemisia dracunculus, den Estragon, dazu, der aber aufgrund seiner Herkunft aus den zentralasiatischen Steppen in der Antike noch nicht bekannt war.

Die zu Bündeln zusammengebundenen Blütenstände des gewöhnlichen Beifußes finden in der Küche Verwendung zur Kräftigung von Brühen und Soßen und als Würze für Gänse- und Schweinebraten. Die zu Pulver zerstoßenen oder aufgebrühten Wurzeln wurden angewendet gegen Epilepsie, Veitstanz, Kolik, Durchfall und Erbrechen. Der Veitstanz war eine im Mittelalter als Tanzwut bezeichnete massenhaft auftretende Krankheit unklarer Ursache, bei der die Erkrankten mitunter ekstatisch bis zur vollständigen Erschöpfung tanzten und schließlich mit Schaum vor dem Mund zusammenbrachen und sogar starben. Man vermutet dahinter die Wirkung haluzinogener Drogen, des giftigen Mutterkorns oder den Biss giftiger Spinnen, wie der Schwarzen Witwe oder der Tarantel. In solchen Fällen rief man den Heiligen Veit um Hilfe an.

Die Eberraute, häufige Pflanze der Bauerngärten, zeichnet sich durch ihre feinen pfriemlichen Fiederblätter aus und den starken aromatischen Zitronenduft. Neben der heilenden Wirkung war diese Pflanze auch gut für allerlei Zauberei. Medizinisch wirkt Eberraute entspannend, krampflösend und beruhigend. Der Duft vertreibt Flöhe und Motten aus den Kleidern und Eberrautenblätter sind daher noch heute Bestandteil von Kugeln und Pulvern gegen Fliegen und Motten. Im Garten als Beeteinfassung gepflanzt, vertreibt ihr Duft Schädlinge. Sie galt als probates Mittel gegen üble Geister, Behexung und sogar gegen Feuersbrünste.

Der wirkungsvollste Vertreter der Artemis-Kräuter ist der Wermut. Er kommt wild sehr selten an Felsen, in Weinbergen, auf Flusskies und an steinigen, sehr warmen Orten vor. Die Blätter sind von dichten, silbergrauen Haaren weiß und seidenglänzend, die Blüten hellgelb. Hauptinhaltsstoff seines ätherischen Öls, das mit Alkohol vermischt als Absinth konsumiert wird, ist das Thujon, das eine ähnliche Struktur hat wie TetraHydroCannabinol, der Wirkstoff von Haschisch und Marihuana. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Getränk in Künstlerkreisen zur Modedroge mit schrecklichen Nebenwirkungen (Gehirnschäden) bei chronischem Genuss. Als „Grüne Fee“ gelangte es zu legendärem Ruf, wurde aber in der Folge aufgrund „ausufernden Missbrauchs“ als Rauschdroge und illegales Abtreibungsmittel offiziell überall verboten.

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zuletzt bearbeitet am 19.V.2012