21. Okt. 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Das stille Leben der Wälder

 Richard Zimmermann

Sei es Instinkt, Faszination oder Angst, schon immer waren Menschen inspiriert und begeistert von der Natur. So entstanden Unmengen an Gedichten, Geschichten, Mythen und Kunstwerken auf Grundlage der noch weit unerforschten Wälder. Dabei bieten Wälder weit mehr als die Inspiration für Kultur, denn sie sind riesige vernetzte Ökosysteme, die weit mehr Leben fassen als je Menschen auf der Erde leben können. Allein eine Handvoll Waldboden fasst weitaus mehr Lebewesen als Menschen aktuell auf der Erde existieren.

Wenn wir durch einen Wald laufen, hören wir Vögel und das Rascheln anderer Tiere, wir riechen den Duft von Blüten, Pilzen und Früchten und spüren Sonne und Wind auf unseren Körper und den Wald einwirken. Flechten und Moose, Gräser und Sträucher, Büsche und Bäume erkennen wir fast mühelos. Etwas mehr Anstrengung erfordert es beispielsweise, Pilze oder gut getarnte Tiere zu finden. Doch das eigentliche Reich der Pflanzen befindet sich unterhalb unserer Füße.

Bäume kommunizieren miteinander. Sie nutzen unterschiedliche Möglichkeiten, um sich gegenseitig zu informieren. Sie warnen vor Schädlingen oder anderen Veränderungen in der Umwelt. Durch die Herstellung von chemischen (Kohlenstoff-)Verbindungen schützen sie sich und kommunizieren über Blätter und Rinde, die diese Moleküle in die Umwelt emittieren. Für uns Menschen ist diese Art der Kommunikation nicht wahrnehmbar, und nur durch bestimmte Messmethoden sind diese Molekülverbindungen in der Luft erkennbar, jedoch kaum erforscht.

Über die riesigen Wurzelgeflechte im Erdreich stehen Bäume auf ähnliche Weise in Verbindung. Viele Pilze dienen als eine Art Mittelsmann, um den Kontakt zwischen den Bäumen überhaupt erst zu ermöglichen. Die feinen wurzelähnlichen, fadenförmigen Härchen (Hyphen) der Pilze treten in Verbindung mit den Wurzeln mehrerer Bäume. Die Verbindung zwischen Baum und Pilz wird als Mykorrhiza bezeichnet und ist eine Art der Symbiose, da beide Seiten einen Nutzen voneinander haben. Entsprechend versorgen sich beide mit unterschiedlich notwendigen Nährstoffen. Das komplette Geflecht von Bäumen und Pilzen in einem Wald ist dann eine Art neuronales Netzwerk und wird unter Wissenschaftlern auch als „Wood Wide Web“ bezeichnet. So reicht bereits ein Pilzgeflecht aus, um alle Bäume und Pflanzen auf einer Fläche von mehreren hundert Quadratmetern miteinander zu vernetzen. Die Summe aller Pilzfäden eines Pilzes (Myzel) selbst können unvorstellbare Ausmaße annehmen, die bisher kaum erforscht sind.

Das Geflecht aus Pilzen und Pflanzen ergibt zusammen fast einen selbstdenkenden Organismus. Es wurde festgestellt, dass gesunde Bäume mit überschüssigen Nährstoffen kranken Bäumen nötige Nährstoffe abgeben und dies unabhängig von der Baum- oder Pflanzenart. Des Weiteren werden Schösslinge von alten Bäumen versorgt. Ebenso dient das Netzwerk nicht nur zur Nährstoffweitergabe, sondern wie bereits erwähnt auch zur Kommunikation. So wird beispielsweise ein Schädlingsbefall abgewehrt, indem die befallene Pflanze oder Baum alle anderen Waldbewohner über das Netzwerk warnt. In Folge werden Botenstoffe, Lockstoffe oder chemische Verbindungen produziert, um Fressfeinde anzulocken, Schädlinge zu vertreiben oder sogar zu vergiften, sodass die Gemeinschaft verteidigt wird. Beispielsweise werden Borkenkäfer abgewehrt, indem Spechte angelockt werden.

Auf der Kehrseite konnte allerdings auch erforscht werden, dass die Ausbreitung von ungewollten Pflanzen durch das Senden von Giftstoffen im Netzwerk unterbrochen wird. Bei Nährstoffmangel konnten ebenso Feindseligkeiten erkannt werden. Woher der Antrieb kommt, ob es sich bei einem Wald wirklich um einen Organismus handelt oder ob das Wurzelgeflecht eine Art Gehirn ist und von einer Quelle gesteuert wird, ist bisher allerdings ungewiss.

 

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zuletzt bearbeitet am 9.XI.2021