3. Juni 2021

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Wenn ein Regenschauer die Blütenpracht zerstört

 Thomas Eßing

Die Pfingstrosen hatten sich wunderbar entwickelt. An zwei sonnigen Tagen in Folge öffneten sich die großen, gefüllten Blüten in ihrer ganzen Schönheit. Doch am späten Abend kommt ein kräftiger Regenguss, und die ganze Blütenpracht liegt am Boden. Ein erfahrener Gartenfreund hat natürlich vorgesorgt und alles vorab mit Stäben und Ringen fixiert, um dieses Szenario zu verhindern. Hier stellt sich aber doch die Frage, wieso manche Blumen auf so ein alltägliches Ereignis wie einen Regenguss nicht besser vorbereitet sind. Es ist schließlich ein enormer Aufwand für Pflanzen, lange Triebe zu entwickeln, um Insekten die geöffneten Blüten zur Bestäubung entgegenzustrecken.

Bei Blumen sind die Blüten von Natur aus in aller Regel ungefüllt. Wenige farbige Blütenblätter zeigen den Insekten den Weg zu den Staubblättern (männlich), in deren Mitte sich wiederum der Fruchtknoten (weiblich) befindet. Entwicklungsgeschichtlich hat sich jedes einzelne Staubblatt aus einem Blütenblatt gebildet. Der Fruchtknoten ist meist durch das Zusammenfügen von drei Blütenblättern entstanden. Deshalb kann es immer mal passieren, dass durch eine bestimmte spontane Mutation aus Staubblättern wieder Blütenblätter rückgebildet werden. Dies erhöht dann aber das Gewicht der Blüte, ohne das gleichzeitig die Stängel verstärkt werden. Fällt in solche Blüten Regen, bleibt viel Wasser zwischen den Blütenblättern hängen. Das Blütengewicht wird viel höher, als es bei ungefüllten Blüten werden kann. Deshalb wird dann das Tragegestell der Blüten völlig überlastet und alles liegt am Boden.

Durch die Mutation gibt es noch ein weiteres Problem. Neben den nun fehlenden Staubblättern werden meist auch andere Blütenteile so degeneriert, dass auch kein Nektar mehr produziert werden kann. Des Weiteren sind solche Blüten meist unfruchtbar. Im Ergebnis sind solche Pflanzen sowohl für Insekten, als auch für die Weiterverbreitung der Art völlig nutzlos.

Wer gefüllte Blüten aus optischen Gründen ungefüllten vorzieht, den Insekten aber dennoch etwas bieten will, kann sich für teilgefüllte Blüten entscheiden. Obwohl es hier erheblich mehr Blütenblätter gibt als üblich, sind die Blütenbestandteile ansonsten meist komplett vorhanden und bleiben voll funktionsfähig. Gerade bei Rosen gibt es eine große Auswahl an teilgefüllten Sorten. Will man auf diese Form krankhaft veränderter Pflanzen ganz verzichten, kann man auf die Pflanzenfamilie der Korbblütler (Compositae) ausweichen. Hier wirken die Blüten nur so, als ob sie gefüllt wären. Bei genauerem Hinschauen lässt sich aber erkennen, dass es sich bei jeder einzelnen Blüte um eine Vielzahl von Einzelblüten handelt, die zu einer Einheit zusammengefasst sind. Zu der Familie gehören u.a. Löwenzahn, Herbstastern, Dahlien, Sonnenblumen oder Gänseblümchen. Bei den Blüten der Sonnenblume kann man gut verfolgen, dass die Einzelblüten über Tage hinweg kreisförmig von außen nach innen abblühen. Dieses Prinzip gilt auch für die meisten anderen Korbblütler. Hierdurch ergibt sich eine lange Blütezeit. Die äußeren Zungenblüten übernehmen für die Gesamtblüte die Funktion der Blütenblätter und bleiben bis zur Befruchtung der innersten Blüten erhalten. So haben die Insekten jeden Tag aufs Neue frisch geöffnete Nektarien und Pollenspender in einer einzigen Korbblüte.

Möchte man dennoch auf gefüllte, sterile Blüten nicht verzichten, sollte man Ihnen mit Drahtgestellen Halt geben. Man erkennt Sie auf dem Etikett am Zusatz fl.pl. (flora plenum – gefüllte Blüte) hinter dem Pflanzennamen. Neben den Stauden, also den mehrjährigen krautigen Pflanzen, werden auch Rosen oder Kamelien mit gefüllten Blüten gezüchtet. Gerade bei den Rosen können nach Regen selbst verholzte Triebe nach unten hängen. In den Blüten entstehen bei Nässe häufig pilzliche Krankheiten. Gefüllte Blüten sind aber keine neue Erscheinung. Erwähnt werden sie schon in der griechischen Literatur vor über 2000 Jahren. In der freien Natur können sich solch krankhaft veränderte Pflanzen kaum verbreiten, da sie ja meist steril sind.

 

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zuletzt bearbeitet am 27.VII.2021