16. Jan. 2020

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Wurzelgemüse botanisch

 Joachim Schmitz

 

Als es noch keinen Kühlschrank und schon gar keinen internationalen Flugverkehr gab, war man im Winter auf unterirdisch wachsendes Gemüse angewiesen, das man im Herbst ernten und dann im Keller lagern oder sogar im Boden lassen konnte, und erst bei Bedarf heraus holen brauchte. Für den Volksmund sind alle Pflanzenteile, die unterirdisch wachsen, Wurzeln, und so heißt dieses Gemüse bis heute Wurzelgemüse. Selbst der botanisch ziemlich bewanderte Goethe konnte damit nichts anfangen. Er schrieb: „So auch mit der Wurzel, sie ginge mich eigentlich nichts an, denn was habe ich mit einer Gestaltung zu thun, die sich in Fäden, Strängen, Bollen und Knollen und, bei solcher Beschränkung, sich nur im unerfreulichen Wechsel allenfalls darzustellen vermag, wo unendliche Varietäten zur Erscheinung kommen, niemals aber eine Steigerung (...)“.

Diesen „unerfreulichen Wechsel“ mal aufzubröseln, habe ich an dieser Stelle vor. Überwinternde Pflanzen brauchen einen Nährstoffspeicher und Knospen, aus denen im nächsten Jahr ein Spross austreiben kann. Im einfachsten Fall bildet die große Hauptwurzel das Speicherorgan und ein kurzes Stück Spross darüber sorgt mit einer Spitzenknospe oder durch Verzweigung entstandenen mehren Knospen an der Erdoberfläche für neue Pflanzen. Das ist eine Rübe.

Der Name kommt von der auch als Art bezeichneten Rübe (Beta vulgaris), die in zahlreichen Kulturformen vorkommt, etwa als Futterrübe, Zuckerrübe, Mairübchen, Navet u.v.a.m. Rüben gibt es aber auch in vielen anderen Familien. Alle Wurzelgemüse von Doldenblütlern sind Rüben als da wären Möhren, Pastinaken und „Wurzel“-Petersilie. Auch Kreuzblütler besitzen häufig Rüben als Überdauerungsorgane. Hierhin gehört der Meerrettich (Armoracia rusticana) und der Rettich (Raphanus sativus), nicht allerdings die Radieschen, die zwar zur selben Art gehören, bei denen aber nur das Hypocotyl, d.i. der kurze Sprossabschnitt vom Wurzelhals bis zu den Keimblättern, verdickt ist, und die deshalb korrekt als Hypocotylknollen bezeichnet werden. Korbblütler mit Rüben sind die Schwarzwurzel (Scorzonera hispanica) und die bei uns wenig bekannte Haferwurzel oder Salsifis (Tragopogon porrifolius).

Reine Wurzelknollen ohne Beteiligung des Sprosses sind selten. Am bekanntesten ist die Süßkartoffel (Ipomoea batatas). Der Name Batate und das daraus abgeleitete englische potato bezog sich ursprünglich auf die Süßkartoffel und ist erst später auf die Kartoffel (Solanum tuberosum) übergegangen. Botanisch haben beide Arten nichts miteinander zu tun. Erste ist ein Windengewächs, zweite ein Nachtschattengewächs. Auch die Knolle kommt ganz anders zustande. Die Kartoffel ist ein unterirdischer Spross, also eine Sprossknolle. Deshalb kann sie auch Seitenknospen bilden, eben die „Augen“. Da die Tochterknollen am Ende unterirdischer Ausläufer entstehen, nennt man sie auch Ausläuferknollen. Ebenfalls Ausläuferknollen produziert Topinambur (Helianthus tuberosus), übrigens eine echte Sonnenblume, die auch solche Blüten bekommt.

Viele Pflanzen überwintern mit unterirdischen Sprossen, die gleichmäßig dick sind. So ein Spross wird Rhizom oder Wurzelstock genannt. Das ist unglücklich, weil es eben keine Wurzeln sondern unterirdische Sprosse sind. Rhizompflanzen wurden aber kaum in Kultur genommen, vielleicht weil die Ernte zu umständlich ist. Was man in der Gemüseauslage im Handel schon mal sehen kann, sind die Rhizome verschiedener Ingwergewächse wie Ingwer (Zingiber officinale), Curcuma (Curcuma longa) oder der von Hildegard von Bingen so geschätzte Galgant (Alpinia officinarum).

Auch Blätter oder Blattteile können als Speicherorgan fungieren. Das ist bei Zwiebeln der Fall, die traditionell nicht zum Wurzelgemüse gezählt werden. Wahrscheinlich liegt das daran, dass auch Laien nicht auf die Idee kommen, Zwiebeln mit Wurzeln zu verwechseln.

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zuletzt bearbeitet am 27.III.2020