4. April 2019

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Wilde Tulpe - seit Jahrhunderten eingebürgert

 Joachim Schmitz

 

Bei Tulpe denkt jeder natürlich an die Garten-Tulpe, die in tausenden Zuchtformen angebaut wird. Zu Ehren von Gesner, einem der „Väter der Botanik“ aus dem 16. Jahrhundert, hat Linné diese als Tulipa gesneriana beschrieben. Wie oft bei so stark züchterisch veränderten Kulturpflanzen ist die ursprüngliche Wildform unbekannt. Die Herkunft wird im Gebiet der heutigen Staaten Iran und Irak vermutet.

Diese Gegend wird auch als Sippenzentrum der Gattung angenommen. Alle wilden Tulpen stammen aus dem Bereich von Innerasien bis zum östlichen Mittelmeerraum. Die sogenannten botanischen Tulpen, die kleiner bleiben und deshalb vor allem für Steingärten und Balkonkästen angeboten werden, gehören ohne Ausnahme hierzu.

Der berühmte Tulpen-Weinberg bei Gau Odersheim

Eine Tulpe hat es allerdings schon früher in Mitteleuropa gegeben. Sie ist wohl nicht, wie das in manchen Quellen vermutet wurde, mit den Römern zu uns gelangt. Gesichert sind Belege, dass sie im 16. Jahrhundert als Zierpflanze nach Mitteleuropa kam. Sie muss aber dann sehr leicht verwildert sein. Vor allem in Weinbergen hat die Art ein Ersatzbiotop gefunden. Als Linné die Art 200 Jahre später benannt hat, war die Art so geläufig, dass er sie Wilde Tulpe (Tulipa sylvestris) genannt hat.

Weinberge werden ökologisch zu den Hackfruchtäckern gezählt. Im Gegensatz zu Getreideäckern, die, einmal gesät, bis zur Ernte meistens nicht weiter bearbeitet werden, müssen Hackfruchtäcker mehrfach von Wildkräutern befreit werden. Früher geschah das durch Hacken. Heute wird das oft nur noch durch den Einsatz von Herbiziden bewerkstelligt, also chemischen Unkrautvernichtern.

Typische Hackfrüchte sind Kartoffeln und Rüben. Da die Kultur nur eine Vegetationsperiode dauert und danach umgepflügt wird, müssen auch die begleitenden Wildkräuter ihren Lebenszyklus in dieser Zeit fertig bekommen oder sich zumindest bis zur Ernte auf unterirdische Knollen zurückgezogen haben. Das ist bei Weinbergen anders. Rebstöcke bleiben jahrzehntelang an derselben Stelle. Deshalb können sich hier auch ausdauernde Arten als Begleitflora etablieren.

Der Bearbeitungsrhythmus im Weinberg ist besonders günstig für frühblühende Zwiebelpflanzen. Neben der Wilden Tulpe ist die Weinbergs-Traubenhyazinthe (Muscari neglectum) eine weitere Charakterart. Da die Industrialisierung der Landwirtschaft längst auch den Weinbau erreicht hat, sind beide Arten sehr selten geworden.

Weitere Zwiebelgewächse wie Acker-Gelbstern (Gagea villosa) und Dolden-Milchstern (Ornithogalum umbellatum) sind ökologisch nicht so stark an Weinberge gebunden und deshalb weniger gefährdet. Die massenhaft kultivierte und häufig verwildernde Armenische Traubenhyazinthe (Muscari armeniacum) kann auch in Weinbergen auftauchen, wo sie schon mal mit der heute viel selteneren echten Weinbergs-Traubenhyazinthe verwechselt wird.

Bei Gau-Odernheim in Rheinhessen (was politisch zu Rheinland-Pfalz gehört) wurde 1985 ein Weingarten mit großem Tulpen-Vorkommen unter Naturschutz gestellt und gleichzeitig wurde die intensive Bearbeitung des Weinbergs verboten. Das hat bei den betroffenen Winzern zu beträchtlichem Unmut geführt.

Inzwischen ist die Massenblüte der Wilden Tulpe eine Touristenattraktion geworden. Die Pflege hat eine ehrenamtliche Naturschutzgruppe übernommen und die Einheimischen behaupten stolz, dass das das größte Vorkommen von Wilden Tulpen nördlich der Alpen sei.

Da die Garten-Tulpe wesentlich spektakulärere Blüten hervorbringt und die Wilde Tulpe die Blüten nur bei vollem Sonnenschein öffnet, war die Wilde Tulpe lange als Zierpflanze bedeutungslos geworden. Mit dem Aufkommen der „botanischen“ Tulpen und ökologisch ausgerichteter Gärten ist die Wilde Tulpe zurückgekommen und gehört heute zumindest im besseren Gartenhandel wieder zum Sortiment.

 

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zuletzt bearbeitet am 17.V.2019