18. Okt. 2018

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Schlehe bietet Tieren und Menschen Schutz und Nahrung

Ruth Gestrich-Schmitz

Das warme, sonnige Wetter in diesem Sommer hat uns eine enorme Fülle an Früchten beschert. An vielen Orten finden Apfelfeste statt, die Apfelpressen der für den Erhalt alter Obstsorten tätigen Vereine sind voll ausgelastet und liefern äußerst leckeren Apfelsaft. Auch Sträucher, die am Wegesrand wachsen, tragen Unmengen an Früchten. Bei einem Herbstspaziergang sind mir besonders die Schlehen ins Auge gefallen, die in diesem Jahr so dick sind, dass sie wie kleine Pflaumen aussehen. Das verlockt zum Pflücken und Reinbeißen. Aber auch mit dem Übermaß an Sonne schmecken die Schlehen noch sehr herb. Erst der Frost macht sie wirklich genießbar.

Dass sie den Pflaumen ähnlich sehen, liegt an der Verwandtschaft zu diesen. Beide gehören in der Familie der Rosengewächse (Rosaceae) zur Gattung Prunus, zu der mehr als zweihundert Arten zählen wie Pflaume/Zwetschge (Prunus domestica), Pfirsich (P. persica), Vogel-/Süß-Kirsche (P.avium) oder Mandel (P.dulcis). Die Schlehe (Prunus spinosa), auch Schlehdorn, Heckendorn oder, wegen der dunklen Rinde, Schwarzdorn genannt, gilt als Urvater der Kulturpflaume. Sie ist in Süd- und Mitteleuropa, Nordafrika und Vorderasien beheimatet, liebt sonnige Standorte und kalkreiche Böden und wächst an Weg- und Waldrändern. Die Wurzeln bilden Ausläufer, mit denen sich die Schlehe stark ausbreiten und ausgedehnte Dickichte bilden kann. Das macht man sich zu Nutze, um Böschungen und Hänge zu befestigen. Der sommergrüne, dornige Strauch wird etwa drei Meter hoch und kann bis zu vierzig Jahre alt werden. Vor dem Laubaustrieb erscheinen im März/April an den verdornten Kurztrieben unzählige weiße, leicht nach Mandeln duftende, nektar- und pollenreiche weiße Blüten. Viele Insekten nutzen diese wertvolle Nahrungsquelle und sorgen gleichzeitig mit der Bestäubung für zahlreiche kugelige, blauschwarz bereifte Früchte, im Herbst ein Leckerbissen für viele Vögel. Den Raupen von rund siebzig Schmetterlingsarten wie dem Schlehenzipfelfalter, dem Segelfalter oder dem Gelben Ordensband dient sie als Futterpflanze. Im dornigen Gestrüpp sind die Nester von Strauchbrütern wie Zaunkönig, Schwanzmeise oder Grasmücke gut vor Feinden geschützt. Der Neuntöter benutzt die Dornen zum Aufspießen seiner Beute (Insekten, Mäuse), um sie so leichter fressen zu können.

In der Heilkunde werden sowohl die Blüten als auch die Blätter und die Früchte verwendet. Die Blüten enthalten Spuren von Amygdalin, einem Blausäureglykosid, Cumarinderivate und Flavonglykoside, die Blätter zusätzlich Bitter- und Gerbstoffe. Die Früchte beinhalten Gerbstoffe, Amygdalin, Säuren und Vitamin C. Aus reifen Früchten hergestelltes Mus hilft bei Appetitlosigkeit und bei Magen-, Nieren- und Blasenleiden, der Saft als Gurgelmittel bei Zahnfleisch-, Mundschleimhaut- und Halsentzündung. Ein Tee aus Blüten (und Blättern) findet in der Volksmedizin Anwendung als leichtes Abführ- und als harntreibendes Mittel, bei Magenkrämpfen, Hautkrankheiten oder Husten.

Durch natürliche Frosteinwirkung oder Lagerung im Gefrierschrank wird ein Teil der Gerbstoffe in den Früchten abgebaut. So werden sie genießbar und können zu kulinarischen Genüssen wie Saft, Wein, Kompott oder Marmelade verarbeitet werden. Selbst hergestellter Schlehenlikör ist ein beliebtes Getränk für kalte Wintertage, in England „Sloe Gin“ genannt. In Dorstone, Grafschaft Herefordshire, wird alljährlich in einem Wettbewerb der beste Schlehenlikör ausgezeichnet. Der Gehalt an giftigem Amygdalin ist zwar relativ gering, dennoch sollte man Schlehen nur in Maßen genießen.

Um die Schlehe ranken sich einige Mythen. So wurde dem dornenreichen Strauch eine schützende Wirkung gegen Hexen nachgesagt. Daher umpflanzte man früher häufig Höfe und Weiden mit ihnen, was zudem das Vieh am Weglaufen hinderte und räuberische Tiere und Menschen fernhielt. Der Schlehe wurde auch vorgeworfen, die Dornen für die Dornenkrone Jesu geliefert zu haben. Angeblich soll Gott dies sofort widerlegt haben, indem er die Pflanze mit unzähligen weißen Blüten überschüttete. Wegen der stark zusammenziehenden Wirkung der Inhaltsstoffe dachte man, dass die Früchte zur Empfängnisverhütung eingesetzt werden könnten. Trägt der Strauch viele Früchte, so soll es einen strengen Winter geben. Warten wir ab, ob sich dieser Volksglaube im kommenden Winter bewahrheitet.

 

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zuletzt bearbeitet am 19.X..2018