17. Aug. 2017

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Besuch in der „essbaren Stadt“ Andernach

Joachim Schmitz

Gelegentlich verschlägt es mich mit meinen Ausflügen auch nach Andernach am Mittelrhein. Beim jüngsten Mal habe ich auf dem Weg vom Bahnhof zum Rheinufer am Bahndamm und der alten Stadtmauer eine Überraschung erlebt. Auf den Grünanlagen wuchsen nicht die üblichen Verdächtigen sondern Bohnen, Salat und Grünkohl.

Das Konzept nennt sich Essbare Stadt und stammt ursprünglich aus England, wo es 2008 unter dem Namen edible city veröffentlicht wurde. Nach Kassel war Andernach die zweite deutsche Stadt, die ab 2010 ihre Grünflächen entsprechend umgestaltet hat. Im Ortsteil Eich wurde zusätzlich eine Permakultur angelegt. Einen Stadtplan der Flächen findet man auf den Seiten der Stadt Andernach (http://www.andernach.de/de/bilder/essbare_stadt_flyer_quer_print_neu.pdf).

 

Bohnenstangen und Mulchpfade statt der üblichen Zierbeete an einem Kreisverkehr mitten in Andernach

 

Die Gründe dafür sind vielfältig. Es geht schon damit los, dass Zierpflanzen aus öffentlichen Beeten heute hemmungslos geklaut werden. Bei Gemüsepflanzen ist das nicht unbedingt zu erwarten. In Andernach ist das Pflücken der Früchte und Blätter ausdrücklich erwünscht. Damit soll auch das Bewusstsein gestärkt werden, dass Gemüse und Salate eben nicht in Plastikschalen wachsen. Außerdem soll die Agrobiodiversität gefördert werden. D.h. regionale Sorten sollen vorgestellt und die Nachfrage nach regionalen Sorten gestärkt werden. In Supermärkten findet man bei Gemüse und Obst oft eine Konzentration auf wenige Sorten, die europaweit, ja weltweit vertrieben werden. Ferner zielt das Projekt auf die Anreicherung der Stadt mit Nuss- und Obstbäumen und die Schaffung von Gemeinschaftsgärten.

Inzwischen gibt es in Deutschland ca. 140 Initiativen. Der Begriff Essbare Stadt ist aber nirgends genau definiert geschweige denn geschützt. Deshalb versteht jeder etwas anderes darunter. Der deutsche Vorreiter, ein Verein für die Essbare Stadt in Kassel hat 9 Punkte formuliert, die zu lang sind, um sie hier wiederzugeben, aber vollständig bei Wikipedia (Essbare Stadt) nachzulesen sind.

Das Konzept „Pflücken erlaubt“ mag bei öffentlichen Grünflächen aufgehen. Für die Stadtgärtnerei dürfte es bezüglich der Kosten für den Kauf von Saatgut, Anzucht und Bepflanzung zwischen Zier- und Nutzpflanzen keinen großen Unterschied geben. Für spezielle Sammlungen wie Botanische Gärten, Medizinalgärten oder historische Gärten sieht das anders aus. Die kultivieren oft nur schwer zu beschaffende Sorten und Arten und werden immer hemmungsloser beklaut. Ich kann das am Beispiel des vom Freundeskreis Botanischer Garten Aachen e.V. betreuten historischen Karlsgarten konkretisieren. Anfangs gab es nur einen Zaun gegen Kaninchen - Menschen kamen immer rein. Wenn sich jemand einen Ableger oder ein paar Samen für den eigenen Garten abgezweigt hat, haben wir das stillschweigend toleriert. Aber zuletzt haben gewisse Leute immer dreister abgeräumt, so dass man bei Führungen plötzlich nichts mehr zu zeigen hatte. Deshalb haben wir uns gezwungen gesehen, den Garten über längere Zeit abzuschließen.

 

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zuletzt bearbeitet am 16.VIII.2017