12.Mai 2016

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Er liebt mich – er liebt mich nicht . . .

Astrid von Reis

Und sieh, welch eine süße kleine Blume mit Gold im Herzen und Silber im Kleid!“ schrieb Christian Andersen über das kleine beliebte und in Mitteleuropa wohl bekannteste wild wachsende Pflänzchen – das Gänseblümchen. Hoch geschätzt schon bei den alten Germanen verbinden die Menschen bis heute viele Emotionen mit ihm. Kinder werden wie magisch von dem fröhlichen und leuchtenden Aussehen angezogen und erstellen kleine Sträußchen, die sie beglückt ihrer Mutter überreichen. Schnell werden viele Gänseblümchen auch zum Haarschmuck in Form von Zöpfen oder Kränzen und die Kinder fühlen sich wie „Tausendschönchen“ – eines seiner vielen Namen. Die Liebhaber von naturnahen Gärten mähen um den kleinen Korbblütler (Asteraceae) herum oder stellen den Rasenmäher höher, damit nur ja die Knospen nicht beschädigt werden und er bald wieder blüht und Insekten wie Bienen, Hummeln, Schwebfliegen und viele mehr wieder Nahrung finden. Die Befürworter von englischem Rasen oder Golfplatzbesitzer denken sicherlich auch viel an das Gänseblümchen, die Euphorie hält sich hier allerdings eher in Grenzen. Allerliebst sagen die Romantiker, und die Verliebten vertrauen auf das Orakel, sie zählen und zählen und zählen die um die gelben Röhrenblüten wachsenden weißen und manchmal rosafarbenen Blütenblätter (Zungenblüten) und hoffen, dass das letzte Blütenblatt mit „Er beziehungsweise sie liebt mich“ endet.

Die Pflanze mit dem botanischen Namen Bellis perennis, L. (bellis = schön, hübsch und perennis = ausdauernd, mehrjährig) wächst nicht nur ausdauernd, sie blüht fast das ganze Jahr, vor allem wenn die Winter so mild sind wie 2015/16. Daisy heißt die Pflanze bei den Engländern, eine liebevolle Abkürzung von Day’s eye – Auge jeden Tages.

Bei den alten Germanen wurde das Gänseblümchen der Frühlingsgöttin Ostara geweiht, als Bote des Frühlings, des neuen Lebens und der neuen Kraft. Auch der Liebesgöttin Freya wurde es geweiht, eine Pflanze fürs Gemüt mit der Blütehochzeit im Wonnemonat Mai. In ihm wurden auch die Augen des Gottes Baldur (Gott der Asen) gesehen, der für seine Güte, Reinheit, Gerechtigkeit und Schönheit verehrt wurde.

Das auch auf kargen Böden und bei großer Konkurrenz noch wachsende und sich nach vielen Tritten wieder aufrichtende Gänseblümchen steht im Christentum für Reinheit, Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit. So haben es zahlreiche große Meister auf Tafelbildern abgebildet – oft auf einem Grasteppich zu Füßen von Maria, Jesus oder Heiligen zusammen mit Veilchen und Erdbeeren. Auch steht es als Symbol für die Mutterliebe, da sich am Abend oder bei Regen die in Rosetten wachsenden, gestielten, spatelförmigen Blätter schützend über die geschlossenen Blüten legen. Entsprechend seiner Eigenschaften oder den Empfindungen der Menschen füllen die vielen Namen, die diese Pflanze trägt, manche Buchseite: etwa Maßliebchen (maßvolle Liebe – lange Liebe, aus den Niederlanden), Himmelsblume, Sonnenblümchen (die Blüten richten sich nach dem Lauf der Sonne aus) oder Maiblume.

Die ursprünglich in Südeuropa beheimatete und durch menschliche Aktivitäten wie Schaffung von Rasen- und Gartenanlagen sich nach Norden und in viele Teile der Welt verbreitende Pflanze wurde auch in die Kultur genommen: Bellis mit großen Blüten in rot, weiß oder rosa – neben zum Beispiel Traubenhyazinthen ein schöner Hingucker.

In der Volksmedizin hat die Pflanze eine große Bedeutung. Sie verfügt über besonders regenerierende, entzündungshemmende, entwässernde, hautklärende, wundheilende (kleine Schwester der Arnika), schleimlösende und blutreinigende Eigenschaften und darf in der grünen Suppe nicht fehlen. „Wer vor den ersten drei Gänseblümchen des Frühjahrs in die Knie geht, sie mit dem Mund abbeißt und hinunterschluckt, der bleibt das ganze Jahr vor Fieber, Augenkrankheiten und Zahnschmerzen geschützt“, heißt es. Tatsächlich enthält die Pflanze viele Saponine, Favonoide, ätherische Öle, Gerb-, Bitter- und Schleimstoffe. In Tee, Wein, Ölauszügen und Salben findet sie Verwendung und auf Salaten und Speisen sorgen die Blüten mit ihrem leicht süßlichen Geschmack für Gaumenfreuden, Gesundheit und Augenschmaus zugleich.

voriger Artikel ← | → nächster Artikel

Auswahl nach Erscheinungsdatum

Auswahl nach Themenstichwort

Startseite

zuletzt bearbeitet am 17.VII.2016