7.Mai 2015

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Wo der Aachener Kaiser im Spiel ist: die Legende von der kleinen Karlsdistel

Karl Josef Strank

Disteln genießen keinen guten Ruf. Sie stechen und pieken und auf den Wiesen macht das Vieh einen Bogen um sie. Disteln werden schon in der Bibel erwähnt und es gibt sie in einer beachtlichen Vielfalt. Das Buch Samuel zieht folgenden Vergleich dieser scheinbar nutzlosen Gewächse mit Menschen: „Aber die nichtswürdigen Leute sind alle wie verwehte Disteln … sie werden mit Feuer verbrannt an ihrer Stätte.“

Die Symbolik der Disteln ist sehr ambivalent. Für Gärtner und Bauern sind Disteln seit Adam der Lohn des Sündenfalls. Sie sind von Gott gegeben und trotzdem ein Teufelsgeschenk, weil sie Ursache ständiger Mühsal und Leiden sind. Für den wehrhaften Mann sind Disteln seit jeher das Sinnbild seiner Kraft, seiner Unabhängigkeit, aber auch seines empfindlichen Ehrgefühls.

Die gemeine Eberwurz, Carlina vulgaris, ist eine kleine Distel. Der Stängel erreicht eine Höhe von 40 bis 50 Zentimetern und ist im oberen Teil doldig verzweigt. Die am Rand gebuchteten Blätter sind lanzettlich länglich, durchweg stachelig, oberseits grün und auf der Unterseite von feinen Haaren grau. Die Blüten sind in Köpfchen organisiert, deren innere Hüllblätter bis zur Mitte gewimpert und in der oberen Hälfte strohgelb gefärbt sind. Bei gutem Wetter stehen sie strahlig ab und das Blütenköpfen leuchtet goldgelb. Die gemeine Eberwurz wird deswegen auch als Golddistel bezeichnet.

Bekannt sein dürfte viel eher die Silberdistel, Carlina acaulis, die Schwesternart der Golddistel, die gelegentlich in Gestecken verwendet wird. Der tellerartige Blütenkopf ist von einem Kranz lanzettlicher, silbrig-weißer strahlig stehender Hochblätter umgeben. Sie wächst in Almwiesen der Alpen, die Golddistel in Magerrasen, aber auch auf Sonderstandorten wie den Kohlehalden in unserer Region. Der Silberdistel schrieb der Volksglaube fast magische Kräfte zu. Bauern verfütterten sie an die Pferde oder nagelten die Pflanzen an den Trog der Schweine und sagten, dass sie so das Jahr über gesund blieben.

Ein anderer Name für die gemeine Eberwurz ist kleine Karlsdistel. Damit kommt Karl der Große ins Spiel. Kaiser und Distel sind nach Aachens Sagen und Legenden, die Josef Müller 1858 aufschrieb, eng mit der Gründungslegende von Gut Melaten verbunden. Als das Heer des Kaisers nach den Kämpfen gegen die Sarazenen und der Eroberung der wichtigsten Städte Spaniens in die Heimat zurückgekehrt war, suchten die Recken Ruhe und Erholung in den Bädern Aachens. Einige hatten aber schlimme Krankheitskeime mitgebracht, die bald eine bösartige Pest ausbrechen ließen, die sich mit Windeseile in den Städten des Rheinlands verbreitete und jeden Tag viele Tausend Menschen hinwegraffte. Die besten Ärzte waren machtlos und Angst und Ratlosigkeit herrschten überall.

Mit Fast- und Bettagen flehten Volk und Kaiser zu Gott, er möge dieses schreckliche Unglück abwenden. Da erschien eines Nachts dem Kaiser ein Engel, der sprach: „Karl, der Herr hat dein Gebet erhöret, reite hinaus ins Feld, schieße einen Pfeil in die Luft, das Kraut, welches derselbe beim Niederfallen durchbohrt, wird die Pest zur Stunde heilen!“ Wie gesagt, so getan. Der Pfeil durchbohrte beim Niederfallen die goldene Blume eines distelartigen Gewächses, dessen Wirkung der Kaiser den Ärzten gleich mitteilte. Jeder, der von ihrem Saft trank, war sogleich von der Pest geheilt. Dem Kaiser zu Ehren nennt man die Pflanze bis auf den heutigen Tag Karlina. Müller schreibt zu Vorkommen und Verbreitung der Karlsdistel: „Im Juli und August blühen bei Aachen Tausende dieser goldenen Blumen vom Königsthor (Ponttor) aus über das ganze Kreidegebirge (Wilkensberg bei Seffent und Mergelland).“

Karl ließ aus Dankbarkeit im Feld an der Stelle, wo der Pfeil niedergegangen war, eine Kapelle und ein Krankenhaus bauen. Die gesunde und freie Lage dieses Ortes, denn der Gutshof Melaten lag alleine im freien Feld, bevor die Hochschule sich dorthin erweiterte, ließ die Menschen schnell wieder zu Kräften kommen und dem Wasser des ungewöhnlich tiefen Brunnens schrieb man namentlich bei Hautkrankheiten eine wundersame Heilkraft zu.

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zuletzt bearbeitet am 14.V.2015