16.Okt.2014

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Wiedergutmachung für die vermeintlich ach so giftige Vogelbeere

Joachim Schmitz

Wenn im Herbst die Blätter fallen, leuchten die Vogelbeeren umso mehr hervor. Die Vogelbeere oder auch Eberesche (Sorbus aucuparia) ist ein Pionierbaum auf Schlägen und an Waldrändern in Mittelgebirgslagen. Zumindest im Rheinland meidet die Art Kalkböden. Hier kommt sie deshalb meistens im Kontext des Hainsimsen-Buchen-Walds vor oder am Rand von Fichtenforsten. Botanisch gehört die Vogelbeere zu den Rosengewächsen, genauer zur Unterfamilie der Apfelartigen (Maloideae). Tatsächlich sind die Früchte auch keine wirklichen Beeren sondern kleine "Apfelfrüchte".

Heute hat die Vogelbeere einen schlechten Ruf. Kindern wird immer erzählt, dass Vogelbeeren giftig sind. Das stimmt aber nur bedingt. Verantwortlich dafür ist die Parasorbinsäure, die aber erst in großen Mengen wirklich giftig ist. Meistens wirkt sie einfach nur abführend. Abgesehen davon ist sie nicht hitzebeständig und wird beim Kochen oder Destillieren zerstört. Daneben enthalten Vogelbeeren aber auch Sorbinsäure, die als Konservierungsmittel für Lebensmittel verwendet wird. Sie ist EU-weit unter der Nummer E200 als Lebensmittelzusatz zugelassen. (Das wird heute in dem für die Lebensmittelindustrie benötigten Umfang längst synthetisch hergestellt.) Außerdem enthalten Vogelbeeren ziemlich viel Vitamin C und diverse Gerbstoffe, die frische Früchte sehr bitter machen.

Traditionell ist die Vogelbeere eine der am vielfältigsten genutzten heimischen Gehölze. Das schlägt sich auch in einer Vielzahl von Volksnamen nieder. Die Aufzählung in dem "Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen" von Marzell braucht geschlagene sieben Seiten! Das fängt bei den Früchten an, die früher oft in Netzen und Leimruten als Vogelköder benutzt wurden. Wegen des Vitamin C-Gehaltes wurden die Früchte gegen Skorbut eingesetzt, wegen des Gehalts an Parasorbinsäure auch als Abführmittel. Die Früchte wurden auch zur Schweinemast verwendet. Daher kommt der Name Eberesche, also Esche für Schweine. Die frühere Deutung des Namens Eberesche als "falsche Esche" wird heute in Zweifel gezogen.

Wegen des hohen Gehalts an Vitamin C kann man aus den Früchten ein wertvolles Mus oder Marmelade machen. Bei der Verwendung von Wildfrüchten muss man allerdings erst die Gerbstoffe relativ aufwändig entfernen. Einfacher ist es, wenn man die Früchte der Mährischen Eberesche (Sorbus aucuparia var. moravica) benutzt. Die heute in jeder Baumschule erhältliche Sorte hat kaum Bitterstoffe und enthält auch keine Parasorbinsäure.

Das Holz eignet sich nicht als Möbelholz, wurde aber in der Schreinerei, der Drechslerei und für Fassdauben verwendet. Dazu gesellte sich auch etlicher Aberglauben. So beruhen Volksnamen wie Quicke, Quitsche oder Quitze darauf, dass Kälber früher mit Vogelbeerzweigen "gequickt", d.h. gepeitscht wurden, weil man sich davon später eine größere Milchleistung versprach.

   Fruchtende Vogelbeere ((c) Joachim Schmitz)

Eine besondere Spirituose: Vogelbeergeist

In Österreich, besonders in den südöstlichen Bundesländern Kärnten und Steiermark, macht man aus Vogelbeeren traditionell einen Obstgeist. Über den Vogelbeergeist streiten sich die Geschmäcker. Leuten, die nur süße Liköre gewöhnt sind, ist das alles viel zu bitter. Wer Brände von anderen Wildfrüchten mag, z.B. von Schlehen oder Wildkirschen, ist dagegen begeistert. Folgerichtig spielt guter Vogelbeergeist auch preislich in der gleichen Liga wie die genannten Brände. In Österreich bekommt man auch billigere Qualitäten, die dann im Geschmack etwas strammer sind. Das ist dann halt eben wirklich Geschmackssache.

 

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zuletzt bearbeitet am 24.XII.2014