25.April 2013

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Ein vertrauter und dennoch auch fremder Baum: die Manna-Esche

Karl Josef Strank

Im Innenhof des Gutes Melaten in Aachen steht in der Ecke, wo die Reste der ehemaligen Kapelle dieses im Mittelalter als Leprosorium genutzten Bauernhofes liegen, ein Baum. Dieser kommt einem sehr vertraut, aber vor allem, wenn er blüht, auch wieder sehr fremd vor. Seine fiedrigen Blätter gleichen sehr denen unserer heimischen Gemeinen Esche – nur, dass sie 3-4 Paar Fiederblättchen hat und unsere Esche meist 4-6 Paar. Die Blüten duften stark und stehen am Ende der Zweige in vielblütigen Rispen. Sie erscheinen gleichzeitig mit den Blättern und überziehen im Frühling den Baum mit einem dichten, weißen, fedrigen Flor.

Dagegen sind die Blüten unserer heimischen Eschen völlig unscheinbar, so dass man es gar nicht bemerkt, dass sie blüht, wenn man im Mai nicht genauer hinschaut. Der vertraute und dennoch fremde Baum ist die Manna-Esche, Fraxinus ornus. Ihre angestammte Heimat ist der Mittelmeerraum, bei uns ist sie angepflanzt. Wegen der auffälligen Blüten und des prächtigen Aussehens wird sie auch als Weiß-Esche, Blumen-Esche oder Orne bezeichnet.

Bei der Zusammensetzung der Waldgesellschaften im Süden spielt die Manna-Esche eine wichtige Rolle. Sie ist Charakterart des Manna-Eschen/Kermes-Eichen-Waldes und im Orient-Hainbuchen-Wald und in den artenreichen Trauben-Eichen-Mischwäldern vertreten. Sie wächst in niederen Lagen baumförmig und in den Bergwäldern als mehrstämmiger Busch. Esskastanie, Hopfenbuche, Zürgelbaum, Silber-Linde, Goldregen und Perückenstrauch sind weitere typische Begleiter in diesen Wäldern.

Weitflächig angepflanzt

Den Namen hat die Esche, weil sie in Süditalien seit dem 15. Jahrhundert und in Nordsizilien seit dem 17. Jahrhundert weitflächig angepflanzt wurde zur Gewinnung von Manna. Hierzu werden die etwa zehn Zentimeter starken Stämme der Bäume ab dem siebten bis zwölften Lebensjahr bis zur Wachstumsschicht, dem sogenannten Kambium, eingeschnitten. Der austretende bräunliche Blutungssaft verfärbt sich an der Luft gelblichweiß und wird hart. Diese Masse wird als Manna eingesammelt. Da es sehr leicht wasserlöslich ist, muss darauf geachtet werden, dass der Regen die Ernte nicht vernichtet. Daher wurden Wächter eingestellt, die bei Regengefahr das Mannglöckchen läuten mussten. Nach 20 bis 30 Jahren lassen die Erträge nach und die Bäume müssen neu gepflanzt werden. 5000 Bäumchen brachten 80 bis 1000 Kilogramm Manna.

Heute ist der Manna-Anbau stark zurückgegangen. Gute Manna sollte wenig Zucker und bis zu 75 Prozent Mannit enthalten, ein süßlich schmeckender Alkohol mit honigartigem Geruch, den auch viele andere Ölbaumgewächse, zu denen die Eschen zählen, enthalten. Manna wurde seit alters her als leichtes Abführmittel und bei Husten verabreicht. Mit dem Manna der Bibel haben die Ausscheidungen der Manna-Esche nichts zu tun.

Unsere heimische Esche ist ein Baum der Auen-, Laubmisch- und Schluchtwälder entlang von Bächen und Flüssen. Zur Kopfesche gestutzt, erfüllt sie eine ähnliche ökologische Funktion wie Kopfweiden. Sie liefert ein brauchbares Holz, und junge Bäume wurden angeblich gern als Zaunpfosten und Pfähle für Palisaden verwendet. Der Name Esche kommt aus dem altnordischen „ask-r“ und dem angelsächsischen „äse“, was nicht nur den Baum, sondern auch den aus seinem Holz angefertigten Speer bezeichnet. Das zähe und zugleich elastische Eschenholz splittert nicht und eignet sich hervorragend für höchste Belastungen.

Seit der Antike ist die Esche als Waffenholz für Speere und Bögen heiß begehrt. Der heilkundige Kentaur Chiron fertigte den wohl berühmtesten Eschenspeer aus der heiligen Esche des sagenumwobenen Berges Pelion für Achilleus, den gerühmtesten Krieger der Griechen, der damit den trojanischen Helden Hektor tötete. Sogar die Pfeile des römischen Liebesgottes Amor sollen aus Eschenholz gewesen sein.

In der Vorstellung unserer germanischen Vorfahren bildete die Weltenesche Yggdrasil die Achse und Stütze der Welt. Sie durchdrang und verband die Götterstadt, das Riesenland und die Unterwelt. An der Weltenesche hängend erfand sich der Göttervater Odin neu und wandelte sich zum Runenleser und Zaubermeister.

Der Zauberstab der keltischen Druiden war natürlich aus Eschenholz. Mit ihm schützten sie die Menschen vor der zerstörerischen Kraft des Wassers und beschworen den Regen. Geblieben ist die alte Wetterregel: „Blüht die Eiche vor der Esche, hält der Himmel große Wäsche, blüht die Esche vor der Eiche, hält der Himmel große Bleiche.“ Große Wäsche heißt Regenwetter und große Bleiche schönes Wetter, denn die Wäsche bleichen konnte man nur bei viel Sonnenschein.

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zuletzt bearbeitet am 22.VII.2013