15.Nov.2012

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Der biegsame Ahorn: Seine Früchte gehen als „Einflügler“ auf die Reise

Karl Josef Strank

Die rot-weiße Flagge Kanadas ziert seit 1965 im Zentrum ein stilisiertes doppelt dreigelapptes Blatt, das unschwer als das des Ahorns zu erkennen ist. Es steht symbolisch für den Waldreichtum dieses ausgedehnten Landes im Norden des amerikanischen Kontinents. Die Gattung Acer ist auf der gesamten nördlichen Halbkugel der Erde – holarktisch – weit verbreitet. Ahorn-Arten, von denen es etwas mehr als 100 – je nach Autor auch bis 200 – gibt, gedeihen in gemäßigten, subtropischen und sogar tropischen Gebieten, dort allerdings nur im Gebirge. Bei uns heimisch sind davon vier Arten, der Feld-Ahorn (Acer campestre), der Berg-Ahorn (Acer pseudo-platanus), der Spitz-Ahorn (Acer platanoides) und der Französische Ahorn (Acer monspessulanum). Die Mehrzahl der Arten ist in China und Nordamerika heimisch.

Ahorne sind in der Regel sommergrüne Bäume oder Sträucher, die gegenständige Blätter mit deutlichem Stiel und Spreite haben und meist handförmig gelappt oder unpaarig gefiedert sind. Die Blüten stehen zu mehreren in schirmartigen, doldigen, seltener traubigen oder rispigen Blütenständen. Die Blüten haben durchgängig fünf Kelch- und Kronblätter. Die Zahl der freien Staubblätter liegt normal bei 5-10 und im Zentrum sitzt ein oberständiger Fruchtknoten mit zwei miteinander verwachsenen Fruchtblättern. Es gibt windbestäubte Blüten und von Insekten bestäubte. Bei letzteren ist am Grund ein Diskus ausgebildet, der reichlich Nektar produziert und für die Anlockung der Insekten sorgt. Die Früchte bestehen aus zwei miteinander verwachsenen Nüsschen, die je einen Flügel tragen und sich bei der Reife spalten. Zur Verbreitung kommt dann jeweils ein Nüsschen mit einem seitlichen Flügel. Diese Form, die in der Luft eine rotierende Kreiselbewegung ausführt, nennt sich Monopteros, Einflügler. Der Flügel lässt die Frucht langsamer zu Boden sinken, was die Chance auf eine Verdriftung durch den Wind, weiteren Abstand von der Mutterpflanze und somit die Ausbreitung der Art insgesamt erhöht. Hängen die Teilfrüchte noch zusammen, kann man die „Doppelflügelfrucht“ des Ahorns wie ein Binokel auf die Nase klemmen, was Kinder gerne im Spiel ausprobieren und bei ihnen meist besser funktioniert als bei Erwachsenen.

Begehrtes Furnierholz

Am häufigsten sind bei uns der Spitz- und der Bergahorn. Ersterer ist im Flach- und Hügelland zu finden, letzterer im höheren Bergland. Das Holz beider Arten ist in der Möbeltischlerei sehr begehrt als Massiv- und Furnierholz. Es ist zäh, elastisch, ziemlich biegsam und leicht und sauber zu bearbeiten. Weil sich weiche, abgerundete Kanten ausformen lassen, wird es häufig für Spielzeuge verwendet. Klassische Verwendung findet Ahorn in der Küche, denn seine helle bis weiße Farbe gibt ihm das Aussehen besonderer Reinheit. Außerdem nimmt das feinporige Holz Geschmacksstoffe nicht so stark auf. Beim Abwaschen quillt es nicht so stark wie Hainbuche oder Buche. Teigrollen, Fleischhämmer, Kochlöffel, Platten, Bretter, Spekulatiusformen und anderes werden traditionell aus Ahorn gefertigt. Besonders beim Bergahorn treten durch Wuchsanomalien sogenannter Riegel- und Vogelaugen-Ahorn auf, der sich durch wellige oder augenförmige hell-dunkle Maserung des Holzes auszeichnet. Speziell der Riegel-Ahorn wird seit langem für Geigenböden verwendet.

Von Bedeutung ist in Nordamerika der Zuckerahorn. Immer häufiger findet sich auch bei uns in den Verkaufsregalen Sirup, der durch Einkochen des Saftes der „sugar marple“ gewonnen wird. Waffeln mit Ahornsirup werden immer bekannter und beliebter. Das Blatt des Zuckerahorns gleicht dem des Spitzahorns und diente wohl als Vorbild für die Flagge Kanadas. Große Waldflächen werden als „Sugar-Bush“-Bestände zur Gewinnung des Zuckersaftes bewirtschaftet. Hierzu werden Bäume selektioniert und regelmäßig kontrolliert. Gezapft wird der Saft im Frühjahr. Durch Kochen und Eindicken erhält man Sirup und schließlich Zucker. 40 Liter Saft liefern ein Liter Sirup oder 3-4 kg Zucker. Seit alters her gilt der Ahorn als wirksamer Schutz gegen Hexen. Um diese von Mensch und Vieh fernzuhalten, nagelte man an Türen und Schwellen von Stuben und Ställen Zapfen aus Ahornholz. Verehrung genießt ein Bergahorn in Graubünden, denn unter ihm schworen 1424 Eidgenossen den grauen Bund zur Sicherung der Handelswege im Gebiet des Hinterrheins.


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zuletzt bearbeitet am 30.XI.2012