17.Nov.2011

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


„Ohne Moos nix los!“. Das gilt auch auf Friedhöfen. Letzter Liebesdienst.

Holger Dux

„Was wird sein, wenn keiner mehr auf den Friedhof geht, um das Grab eines Menschen aufzusuchen, der einem nahe gestanden hat?“
In unserer Gesellschaft ist es bis heute zu üblich, dass man Blumen zum Grab bringt, dort niederlegt oder sie in Vasen steckt. Das hat sich nicht geändert, auch wenn sich der Umgang mit der Trauer und sogar die Formen der Beerdigungen stark gewandelt haben.
Jetzt sind die Schaufenster der Gärtnereien, der Gartencenter und Supermärkte voll mit allerlei Gestecken, die umgangssprachlich als Leger bezeichnet werden. Es ist noch gar nicht so lange her, dass man beim Gärtner zum Jahrgedächtnis, Geburtstag oder Jubiläum Kränze bestellt hat.
Das war auf allen Friedhöfen so, mit Ausnahme der jüdischen. In deren Todesanzeigen wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „das Überreichen von Blumengebinden verbeten“ war.
In den Jahrzehnten des ausgehenden 19. Jahrhunderts haben die Hinterbliebenen, wenn sie es sich leisten konnten, bei der Friedhofsverwaltung eine mehr oder weniger große Summe hinterlegt, damit regelmäßig das Herbstlaub abgeräumt und im Frühjahr und Sommer Begonien oder Stiefmütterchen und Erika gepflanzt wurden. Meistens einmal im Jahr sollte die Stadtgärtnerei außerdem einen Kranz zum Grab liefern. Diese Leistungen wurden aus den Zinsen des angelegten Kapitals finanziert. Das System funktionierte jahrzehntelang, bis das Geld für Kriegsanleihen und zuletzt in der Inflation von selbst verschwunden ist. Auch auf den Friedhöfen gilt bis in die Gegenwart „Ohne Moos, nix los!“
Bei der Grabgestaltung sind der gestalterischen Fantasie fast keine Grenzen gesetzt. Aber auch hier hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte ein Wandel bemerkbar gemacht. Die liebevoll mit Buchsbaum und weißen Kieselsteinen eingefassten Beete werden heute von leichter zu pflegenden Bodendeckern abgelöst. Das aber die Fläche vor dem Grabdenkmal bepflanzt gewesen ist, hat mit der Vorstellung vom letzten irdischen Garten und des „hortus conclusus“ als Synonym für das Paradies zu tun. Wie bei jedem großen Garten sind die Grabfelder mit geschmiedeten Gittern, manchmal auch nur mit schlichten hölzernen Zäunen oder zurechtgestutzten Hecken gerahmt.
Natürlich gab es schon immer die pflegeleichte Variante mit großen Grabplatten oder mit Metallabdeckungen von Gruftzugängen. Da blieb wenig Raum für die Bepflanzung auf den schmalen Beeten rechts und links.
Manchmal griff man auch zum Ersatz. Wer über die historischen Friedhöfe der Stadt spaziert, der entdeckt Kränze, die in Stein gehauen sind oder Blumengebinde aus Bronze. Manche dieser Kränze scheinen aus Efeu oder Tanne gewunden und mit Schleifen umwickelt zu sein. Andere bestehen aus dicht gesteckten kleinen Blüten, Tannenzapfen, Hagebutten oder Knospen. Neben Kränzen findet man lange, hübsch geschwungene Girlanden oder schwere, überdimensionale Zapfen. Ihre geometrischen Elemente sind eindeutig als Blüten oder Blätter zu identifizieren, wirken aber hart und streng.
Die Gruppe der Jugendstilgrabmale bildet eher die Ausnahme. Hier sind Blüten und Ranken so realistisch dargestellt, das man ohne Fantasie und Fachkenntnissen Rosen, Efeu oder Mohnkapseln erkennt. Hier schmücken sich die Gräber mit einem fast unüberschaubaren Schatz an Symbolen: Die Kapseln des Mohns beispielsweise stehen für die ewige Ruhe und die Rosen natürlich für die Liebe. Immergrüne Efeublätter verweisen auf die Unvergänglichkeit.
Doch nicht nur einzelne Blüten und Bouquets werden auf die Gräber gelegt. Manchmal sind es Statuen, die Körbe voller Pflanzen in den Händen halten. Sie scheinen Blütenblätter wie bei Hochzeiten oder Prozessionen auszustreuen. Rosen, Hortensien oder Margariten werden dann zu einer schmückenden, aber auch schützenden Decke, die dem dort Beigesetzten niemals zur Last fällt.
Das bekannteste Grabmal auf dem Ostfriedhof schmückt ein etwa lebensgroßer Engel. Er hält in seiner ausgestreckten Hand einen Rosenzweig. Wenn keiner mehr Blumen zum Grab bringt, dann übernimmt dieses geflügelte Wesen stellvertretend für die Hinterbliebenen diesen Liebesdienst.
Vergleichende Studien zeigen, dass der gleiche Engel mit der gleichen Handhaltung einen Palmwedel halten kann.
Palmwedel waren generationenlang, bis in dien 1960er Jahre, der Trauerschmuck par excellence. Die echten Blätter verloren erst lange Zeit nach dem Schneiden ihre grüne Farbe, ehe sie welkten und zuletzt auf den Komposthaufen geworfen worden sind. Doch immer noch trägt ein geflügelter, mit einer Toga bekleideter Jüngling einen solchen filigranen, vielblättrigen Palmwedel einem Trauerzug voran.
Das Grabmal der Familie des Tuchfabrikanten Feodor Meyer auf dem jüdischen Friedhof in Aachen hat alle Zeiten überstanden. Auch wenn keiner der Angehörigen mehr das Grab aufsucht und Blumen bringen kann, der Palmwedel aus Bronze welkt nie.


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zuletzt bearbeitet am 18.XII.2010