30.Juni 2011

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Linde verströmt den betörenden Duft des Sommers. Ein Baum des Volkes.

Mechtild Feese


Von alters her weckt der Duft der Lindenblüten Erinnerungen, die man schwer in Worte fassen kann, die aber irgendwie mit Wärme und Geborgenheit und mit Heimat verbunden sind.

Die Linde war schon immer ein Baum des Volkes, ein weibliches Wesen, das im Gegensatz zur männlichen Eiche innige Mütterlichkeit ausstrahlte. In der Linde verehrten die Germanen Freya, die Göttin der Liebe und des Glücks, der Fruchtbarkeit und des guten Hausstands. Mit der fortschreitenden Christianisierung wurde der Freyakult zerstört, und an seine Stelle trat die Marienverehrung. Einige Marienlinden haben als einzige Baumheiligtümer bis in unsere Zeit überlebt.

Im Herzen des Volkes hatte die Linde schon immer als Hausbaum den besten Platz in Hof, Dorf, Kloster und Burg inne. Sie war der Treffpunkt im Ort, das Zentrum der Geselligkeit, ein „Friedens- und Freudenbaum“, wie Luther sie nannte. Unter die Linde floh man bei Gewitter. Unter der Linde fand aber auch der Dorftanz statt. Dafür hatte man manche Linden in Stufen geschnitten und die Tanzplattform direkt in das Geäst des Baumes verlegt, wobei ein hölzernes Gerüst die tragenden Äste und mit ihnen die Tanzfläche stützte.

Auch in der Antike betrachtete man die Linde als ein Symbol, wurden doch in den Metamorphosen von Ovid Philemon im Tode in eine Eiche, seine Frau Baucis jedoch in eine Linde verwandelt.

Tausend Jahre
Linden können wie die Eiben bis zu tausend Jahre alt werden: “Sie kommt 300 Jahre, steht 300 Jahre und vergeht 300 Jahre“. Das Holz lagert keine fäulnisresistenten Gerbstoffe ein wie die Eiche und so vermorscht der Baum von innen heraus. Linden sind stattliche Bäume von 30-40 m Höhe mit einem Stammdurchmesser von 1–1,8 m. Bei uns wachsen in der Hauptsache zwei Arten, die sich in Größe, Wuchs, Blättern und in der Blütezeit unterscheiden: die Sommerlinde, mit geradem Stamm, aufsteigenden Ästen und schlanker kuppelförmiger Krone, 40 m hoch. Beide Arten sind hervorragende Honigbäume und werden von Bienen, Hummeln und Schwebfliegen angeflogen.

Im alten Kreta galten Lindenblüten als das Heilmittel schlechthin, in Deutschland setzten sie sich erst im 17. Jahrhundert durch. Der Lindenblütentee wirkte schweißtreibend, schleimlösend und krampfstillend bei grippalen Infekten und Erkältungen. Die Kohle aus Lindenholz bindet Giftstoffe und Säure im Magen und wird bei Magen-Darm-Verstimmungen eingesetzt. Außerdem galt das Lindenblütenwasser als Schönheitsmittel und wurde schon von Hildegard von Bingen gerühmt.

Holz für Schnitzer
Die Linde liefert weißes weiches Holz von gleichmäßiger Beschaffenheit. Es eignet sich sehr gut zum Schnitzen, wird allerdings wegen seines hohen Eiweißgehaltes oft von Holzwürmern befallen. Aus Lindenholz schnitzten Veit Stoss, Tilman Riemenschneider und später auch Ludwig Schwanthaler die wunderschönen Heiligenfiguren, weshalb das Holz der Linde auch „Lignum sacrum“ genannt wurde.

Man benutzte es auch als Unterlage für Gemälde. Die Madonna von Tschenstochau, das Nationalheiligtum der Polen, wurde auf Lindenholz gemalt. Man fertigte aber auch Profanes wie Holzschuhe, Löffel, Schüsseln und andere Haushaltungsgegenstände oder verwendete die Lindenholzkohle zur Schiesspulverherstellung. Heute wird sie als Zeichenkohle benutzt.

In früheren Zeiten war der Bast der Linde (ahd. bast für Haut, Rocksaum oder Naht) für den Menschen sehr wichtig. Schon die Germanen machten sich Kleidung und Kriegsschilde daraus. Um den Bast zu gewinnen, wurde Mitte Mai die Rinde von den Bäumen abgeschält. Ein Baumstamm von ca. 35 cm Umfang ergab 45 kg Bast. Der wurde dann von den Seilern zu Schnüre, Seilen, Bienenkörben und Bogensehnen verarbeitet oder diente Winzern und Gärtnern als Bindebast.

Andere Bäume wie Weiden, Ulmen und Birken liefern auch Bast und sind auch sonst den Menschen von großem Nutzen. Aber sie verzaubern uns nicht mit ihrem betörenden Duft, das kann nur die Linde.



 

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zuletzt bearbeitet am 6.VIII.2011